Lichtblicke aus dem Helambu


Trekkingtour im Erdbebengebiet - Sindhupalchok

November 2015: Ein halbes Jahr nach dem schweren Erdbeben waren wir im Sindhupalchok unterwegs. Wir wollten sehen, wie es den Menschen dort geht, welche Ängste und Hoffnungen sie haben und wo wir vielleicht etwas helfen können. Unser Fazit lautet: Die Zerstörungen dort sind immens. Doch trotz aller Not und Armut: Die Menschen sind optimistisch und stets freundlich. Wir schliefen in sicheren Unterkünften und wurden vortrefflich bewirtet. Wir waren uneingeschränkt angetan von der Bescheidenheit und der Freundlichkeit der Bewohner, der Sherpas und Tamangs. Ihre Gastfreundlichkeit hat uns begeistert! Sie wünschen sich, dass die Wanderer wieder kommen - und tun alles dafür. Neue Wanderstrecken umgehen mögliche Gefahrenquellen, Holzhütten wurden liebevoll hergerichtet und sind erdbebensicher, der Wanderer rückt noch näher an die Familien und die gemeinsamen Abende werden unvergesslich bleiben. Die Menschen dort brauchen dringend die Einnahmequellen aus dem Tourismus und sie brauchen unsere Hilfe. Und, stört der Anblick der Zerstörungen während einer Trekkingtour?  Nein! Sie gehören von nun an zum Sindhupalchok, sowie die Armut schon immer auch zu Nepal gehörte. Davor darf man in Nepal seine Augen nicht verschließen - Armut herrschte auch schon vor den Beben. "Trekking im Helambu ist sicher möglich!" Nachfolgend einige Lichtblicke...

Umgefallen wie Dominosteine

140 Häuser standen am leicht abfälligen Hang des Dorfes Tarkeghyang. Heute ist keine mehr bewohnbar. Wer in das Dorf möchte, muss über Trümmer, Holzbalken und Bleche klettern. Die Wege sind verschüttet, das durch Steinmauern stabilisierte Flussbett, welche ursprünglich mitten durch das Dorf ging, ist verschüttet. Das Dorf wirkt auf den ersten Blick menschenleer, doch ab und an treffen wir den ein oder anderen. Die wenigen, die geblieben sind, haben sich in halbwegs bewohnbaren Räumen, eine Behausung geschaffen. Eine Frau hat an ihrem unbewohnbaren, zerstörten Haus ein kleines Blümchen aufgestellt, ein Zeichen der Hoffnung. Wir treffen eine Gruppe Österreicher, die spontan versuchen möchten, den Menschen noch vor dem Winter beim Wiederaufbau zu helfen und sie zu unterstützen. Als erstes müssten die Grundstücke von den Steinen befreit werden. Doch schon das gestaltet sich schwierig. Die meisten Bewohner sind nach dem Beben runter ins Tal nach Melamchi, einige

weiter zu Bekannten und Verwandten nach Kathmandu gezogen. Rückkehr ungewiss. Doch ohne die Erlaubnis der Dorfbewohner und ohne Erlaubnis der Behörden dürfen die Freiwilligen keine neuen Häuser errichtet. Hilfe braucht Planung und Organisation – und alles braucht Zeit.

Als wir zwischen den Trümmern umherstolperten, treffen wir auf Jhictal Dorji Lama, 24 Jahre alt. Eigentlich studiert er das Ingenieurwesen in Kathmandu, doch nun wird er sein Studium abbrechen. Als wir mit ihm reden, stehen wir auf den Trümmern seines Elternhauses. Mutter und Vater, so sagt er, haben das Beben überlebt, wie fast alle Menschen im Dorf. Sie waren auf den Feldern, als es passierte. Lediglich eine Frau der 400 Seelengemeinde kam zu Tode. Jhictals Eltern seien, so, rund zwei Stunden lang nach den Beben umhergeirrt, eine riesige Staubwolke habe keine Sicht zugelassen. Die Menschen hätten geschrien und gebetet. Die Häuser seien wie Dominosteine umgefallen, ein Haus fiel auf das andere. Sie waren zu eng gebaut und das Dorf liegt an einem leichten Hang. Hilfe vom Staat sei bis heute nicht abgekommen obwohl Tarkyeghyang über eine Straße erreichbar ist. Was man im Dorf dringend brauche, seien Bulldozer, um die Steine beiseite zu schaffen. Doch dafür fehle das Geld. Mit ein paar Freunden sei er nach dem Beben sofort „nach Hause“ gereist, um zumindest

ein wenig Hilfe zu leisten, Lebensmitteln und warme Sachen zu bringen. Heute inspiziert Jhictal gemeinsam einigen Freunden die „Baustelle“. Im Frühjahr möchte er das Haus mit seinem Vater wieder herrichten, dann aber erdbebensicher. Das Studium wird Jhictal unterbrechen, wie Vater und Sohn den Wiederaufbau finanzieren wollen, wissen sie noch nicht.

© Leben in Trümmern
© Leben in Trümmern

Auf 2500 Metern: 140 Schulkinder überwintern in Zelten

Das Dorf Melamchi Ghyang ist unter eingefleischten Trekkernnicht unbekannt. Wer von den Yakweiden des Langtanggebietes über Gosaikund wieder talwärts Richtung Kathmandu wanderte, war froh hier anzukommen. Das Dorf, auf einem wunderschönen Hochplateau mit herrlicher Aussicht gelegen, präsentierte sich ihren Besuchern alsbesonders liebevoll. Freundliche, aufgeschlossene Menschen, die ehemals aus Tibet ins Helambu gekommen waren, boten ihren Gästen gute Unterkünfte und heimische Verpflegung. Im letzten Jahr nutzten Reiseveranstalter aus Kathmandu die wenn auch nicht gute Straße, um täglich mit ihren Jeeps Wanderer direkt in Dorf zu bringen. Sie starteten hier ihren Touren in Langtang. Die schweren Erdbeben jedoch haben das Dorf verändert. Obgleich es wenig Tote zuverzeichnen gab, wurden nahezu alle Häuser zerstört. Die das Dorfbilddominierende Ghompa ist förmlich in sich zusammengeklappt. Als wir im Herbst 2015 das Dorf betraten, waren viele älteren Menschen dabei, ihre Felder zu bestellen und, so gut es ging, ihrer provisorischen Unterkünfte weiter auszubauen. Auch in Melamchi Ghyang fällt uns auf: Den Familien fehlen die Männer. Die meisten von

ihnen sind bereits seit langer Zeit als Wanderarbeiter in Ausland unterwegs und stehen den Daheimgebliebenen nun in dieser schwierigen Zeit nicht zur Verfügung.

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© Fotos ms

Beim Gang durch das Dorf erblicken wir schließlich am östlichen Rand des Plateaus die Reste einer größeren Schule. Es ist die „Melamchi Ghyang Secondary School“. Sie ist weit über das Sindhupalchok bekannt ist. Rund 240 Schülerinnen und Schüler wurden hier unterrichtet. Allein 140 von ihnen kamen aus entfernten Gegenden Nepals und lebten in dem Schulareal. Ihre Eltern und Heimatdörfer besuchten sie nur gelegentlich, während langer schulfreier Zeiten. So wie jetzt. Wir treffen uns mit dem Schulleiter, Herrn Purna Gautam, ein

Hinduist, der selbst vor vielen Jahren als Wanderer in das Dorf gekommen war und hier „hängen blieb“. Herr Purna selbst lebt heute mit seiner buddhistischen Frau und seinen Kindern in einen

Holzhütte unterhalb der zerstörten Ghompa. Auch sein Haus würde zerstört, die Möglichkeit, es wieder aufzubauen, sieht er nicht. Doch die Schule ist sein Lebenswerk, seine größte Sorge gilt nicht seinem Hauses, sondern „seinen“ Kindern. Er nimmt sich viel Zeit und führt uns durch die Trümmer des Schulgeländes, dem baufälligen, unbewohnbaren Hostel der Schüler mit dem zerstörten Kantinenbereich im Erdgeschoss, dem Schulhof, auf welchem die Kinder allmorgendlich vor Schulbeginn gemeinsam Frühsport machten oder den Steinresten der ehemaligen Unterrichtsräume. Die Steine sind mittlerweile beiseite geräumt und sorgfältig aufgestapelt. Es tut sich was.


Herr Purna schildert uns „seine“ bewegende Geschichte. Er erläutert uns, wie er und die Kinder die Beben erlebten. Und er ist froh: Niemand

von den Kindern ist getötet worden, es gab lediglich einige, nicht

lebensbedrohliche Verletzungen, als das erste Beben zuschlug. Gerechnet hat damit niemand. Herr Purna sagt, es sei ein unbeschreibliches Glück gewesen, dass die Erde in den Mittagsstunden wankte und die Kinder nicht in den Häusern waren. Nicht auszudenken, wenn es nachts passiert wäre, viele wären gestorben. Er selbst habe noch aus seinem Office kriechen können, bevor aus das Gebäude zusammen fiel. Die Erdbeben, so erklärt Herr Purna, seien für die Kinder traumatisch Erlebnisse gewesen, die sie bis heute nicht verarbeitet hätten. Die Unsicherheit begleitet seither ihre noch jungen Leben. Gemeinsam verachten Lehrer und Schüler drei Tage und Nächte, geschützt unter Decken und Planen, auf dem Schulhof. Viele Bewohner aus der Umgebung seien spontan mit Decken und Lebensmittel zu Hilfe geeilt, obgleich auch sie alles verloren hatten. Hilfe gab es auch von einigen Wanderern. Unzählige Nachbeben haben es in diesen Tagen geben, immer wieder bebte der Boden. Die Kinder haben mit ansehen müssen, wie an den einst grünen, schützenden Berghängen des Dorfes ganze Landstriche abrutschten und die weißen Kalkschichten des Gesteins zum Vorschein brachten. Erst nach drei Tagen wurden ihre Notrufe in

Kathmandu erhört. Mehrere Hubschrauber, nur 8 Minuten Flugzeit von Kathmandu aus entfernt, kamen und brachten dringend benötigte Hilfsgüter.

Die meisten Zelte wurden mit Holzbalken unterbaut, damit der vom Hang strömende Regen im Herbst und im Frühjahr nicht ins Innere gelangen kann. Die Kinder leben dort auf klammen Matratzen und Decken, Schulhefte, Stifte und Waschutensilien fliegen umher. Fürs Mobiliar ist dort kein Platz. Hier werden sie nun, lediglich geschützt durch ein paar Planen und Stoffe, in den langen Wintertagen der Kälte, dem Regen und Wind zu strotzen haben. Diese Bedingungen sind selbst für nepalesische Kinder, die von klein auf das harte Leben in den Bergen gewöhnt sind, nur schwerlich zu ertragen. Doch alle hier in der Schule versuchen optimistisch in die Zukunft zu blicken und hoffen auf die Unterstützung von Helfern und Spendern - vom Staat erwarten sie kaum etwas. Die Caritas Swiss leistete bereits erste, wichtige Hilfe und plant, dort ein größeres Gebäude zu errichten. Das wäre ein wichtiger Schritt. Doch weitere müssten folgen, soll den Kindern wieder der Weg zurück in den Alltag und der Zugang zu Bildung ermöglicht werden. Ob sie jedoch jemals diese traumatischen Erlebnisse verarbeiten werden? Daran denkt derzeit noch niemand.

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Heute, ein halbes Jahr später, findet an der Melamchi Ghyang Secondary School wieder Unterricht statt. Zufrieden zeigt uns Herr Purna die provisorisch errichteten Unterkünfte und Klassenräume. Er ist sichtbar stolz, dass es trotz der Katastrophe weiter geht. Leicht ist es nicht. Unterricht und ein geregelter Tagesablauf, das sei jetzt, so Herr Purna, die bestet Hilfe für die Kinder. Gemeinsam nehmen wir die Provisorien der Schule in Augenschein. Das Bild ist ernüchternd: Die Klassenräume bestehen als einfach zusammengenagelten Holzhütten. Um den kalten Wind, der spürbar durch die Räume zieht, abzuhalten, wurden sie von außen mit dünnen Plastikbahnen umwickelt. Die

meisten weisen Risse auf oder hängen flatternd an den Wänden herunter, weil sie dem böigen Wind nicht lange statthalten konnten. Ein schmales, langes Gebäude ist mit einfachen Holztischen und –bänken bestückt. Das ist jetzt die Kantine. Gekocht wird auf einer Feuerstelle in der ca. 25 qm großen Küche. Hier nehmen jetzt täglich rund 240 Kinder (!) ihre Mahlzeiten ein. Doch am meisten betroffen sind wir von den bescheidenen Unterkünften der 140 Kinder, die hier leben und den

harten Winter verbringen müssen. Mit viel Fleiß haben sie gemeinsam mit Lehrern und Helfern aus der Umgebung kleine Zeltlager errichtet, die dem ersten Blick nach auf eine Campingfreizeit schließen lassen. Die Mädchen haben am Eingang ihres Areals, welches von männlichen Personen nicht betreten werden darf, liebevoll Blümchen gepflanzt.

Das Boy-Camp wirkt dagegen jungentypisch – schlicht und funktional. Doch der erste Eindruck täuscht über die realen Lebensbedingungen hinweg: Die „Kinderzimmer“ bestehen lediglich aus einfach Zelten, die teils mit Planen zugeflickt worden sind.



Trekking am Everest und im Annapurnagebirge möglich

© Fotos: ms
© Fotos: ms

Herbst `15: Sechs Monate nach den schweren Erdbeben haben wir uns, neben der persönlichen Hilfe von Erdbebenopfern, vor Ort in Nepal auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob es dort wieder möglich, sicher zu wandern. Fest steht, dass das Land, dass die Menschen den Tourismus noch dringender benötigen, als vor den Beben. Doch ist es möglich, ist es sicher genug? Wir trafen junge Menschen und erfahrene Wanderer aus den verschiedensten Ländern. Sie haben sich nicht von den Erdbeben abschrecken lassen und sind marschiert. Ihr Fazit: Diese beiden weltberühmten Gebiete in der Everestregion und im Annapurnagebiet sind uneingeschränkt begehbar. Impressionen aus dem Annapurnagebirge (© Fotos: ms)

© Fotos: ms - Impressionen "Khumbu - Everest"
© Fotos: ms - Impressionen "Khumbu - Everest"


Trekking und Erdbebenhilfe - geht das?

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© ms

Frühj. `15: Als Marianne a Nieholt die wenigen, ihr verbleibenden Stunden während ihres Hilfseinsatzes im provisorischen Krankenhaus in Lamusangu nutzte und einige Spaziergänge durch die südlichen Ausläufer des Helambu unternahm, beschrieb sie ihre Eindrücke mit den Worten „Idylle und Zerstörung“.  Das ist nach dem Erdbeben das Bild des einst beliebten und wunderschönen Trekkinggebietes Helambu, welches viele Trekker in ihren Bann zog. Und heute? Zerstörte Dörfer, notleidende, in Armut lebende Menschen inmitten einer Traumlandschaft, die jeder Filmkulisse gerecht werden würde. Fakt ist:  Heute bleiben die Touristen, die Wanderer 
aus – und damit entfällt für Dorfbewohner in den Bergen eine wesentliche Einnahmequelle. Früher war für viele dieses Zubrot wichtig - heute, nach dem Beben, wäre es dringend nötig. 

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Mit den Menschen reden

Es stellt sich die Frage nach der Zukunft. Wird es möglich sein, inmitten der Zerstörungen  wieder zu  wandern und den Menschen freudig zu begegnen, die Kultur, die Natur zu genießen? Gehörte die Armut nicht auch bereits vor dem Beben zu Nepal? Ab wann und wo kann man wieder sicher trekken oder muss mit weiteren Zerstörungen durch Erdrutsche gerechnet werden? Findet man wieder ausreichend sichere Unterkünfte, genug Familien, die den Wanderern eine Herberge bieten und Gästen eine warme Mahlzeiten zubereiten? Was denken die Menschen dort in den Dörfern eigentlich, was wünschen sie sich?  Wir haben sie gefragt, und sind im Herbst `15 im Helambu gewesen.

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